Mike Egger und die Nachhaltigkeit.

“SVP will keine 10-Millionen-Schweiz, vor allem aber weniger Asylbewerber – und sie schenkt Baume-Schneider eine Mistgabel” - AZ, 2.7.2023

Roland Voser, 2. Juli 2023

Eigentlich will die SVP ja die “falsche” Zuwanderung begrenzen. Sie reicht dazu eine Initiative ein, die möglicherweise die Zuwanderung begrenzt, aber erst dann, wenn wohl schon alles “verkachelt” ist. Oder wie ist dieses 10 Millionenventil sonst zu verstehen?

Eigentlich will Mike Egger diese Initiative, und zwar durchaus zu recht, weil “wir es der nächsten Generation schuldig sind”. Ist sein Blick in die Ferne so zu deuten, dass er die Nachhaltigkeit ob der Asylchaos-Mistgabeln seiner mittelalterlichen Parteikollegen vom Nachhaltigskeitsinitiativen-Heuwagen fallen sieht?

Oder weil Christoph Blocher jetzt wohl tatsächlich altershalber von Bord geht? Oder weil sich Roger Köppel mit seinen Andere-Sicht-Podcasts verselbstständigt hat? Oder weil Marco Chiesa eine veritable Fehlbesetzung ist, weil er nicht kommunizieren kann?

Wurden ganz einfach die letzten Jahre zu wenige souveräne Köpfe im SVP-Garten kultiviert? Ich meine dies durchaus im wahrsten Sinne des Wortes “Kultur”.

Die Partei muss offensichtlich im Hinblick auf die Wahlen im Herbst ein substantielles Problem haben. Ich ordne die daraus entstehende operative Hektik mit einer Initiative, die unter falscher Flagge segelt, jedenfalls so ein.

Denn worum geht es eigentlich? Im Kern will die Initiative den Stimmenden in der Initiative folgende Frage stellen:

Benötigt die Schweiz Zuwanderung?

Ja, werden die einen sagen, denn die Schweiz benötigt Arbeitskräfte, weil es zu wenig Schweizer und Schweizerinnen gibt, die den Kehricht wegräumen, an der Migros-Kasse arbeiten, Alte pflegen oder Software für die Unternehmen und Organisationen entwickeln wollen. Etc.

Nein, werden die anderen sagen, denn die Schweiz benötigt keine Personen, die im Land Drogenhandel betreiben, nicht integrierte Parallelgesellschaften aufbauen, das Gesundheitssystem überlasten oder sich direkt an den Sozialhilfekassen bedienen. Etc.

Beide haben aus ihrer Sicht wohl recht: In dieser Frage gibt es zumindest keine einfache Antworten. Daher eignet sich diese Fragestellung nicht für eine Initiative. Es ist schlicht die falsche Frage.

Vielleicht hätte ein Christoph Blocher in seinen besten Jahren diese Tarninitiative, die zwar Nachhaltigkeit sagt, aber Zuwanderung meint, zum Erfolg führen können. Aber heute? Wer könnte dies heute schaffen? Dann haben sich auch die Zeiten geändert. Solcher Etikettenschwindel bewegt keine neuen Wählerscharen mehr.

Eine Partei muss sich im Wahlkampf mit Fragen profilieren, zu denen man im Prinzip nur Ja sagen kann. Denn die eigene Gemeinschaft Gleichdenkender soll vergrössert werden. Das funktioniert nur über Gemeinsamkeiten und nicht über Differenzen.

Eine Frage wäre zum Beispiel: Soll die Schweiz nicht überbevölkert werden? Dann kann die Diskussion darüber losgehen, was Überbevölkerung in der Schweiz heissen könnte und was demnach konkret zu verhindern wäre. Es würde ein gemeinsames Problemverständnis entstehen, was das zwingende Fundament für eine spätere Problemlösung ist.

Oder Fragen, bei denen die Abstimmenden eine klare Meinung äussern können. Zum Beispiel: Sollen in der Schweiz Kernkraftwerke sofort gebaut werden können? Dann würde das aktuell lahme Wahlkampfgeplänkel plötzlich pfefferscharf werden, weil blosse Behauptungen der Diskussion nicht mehr standhalten würden und nur stichhaltige Argumente entscheidend wären.

So gesehen, macht Mike Eggers nachdenklicher Zukunftsblick Sinn. Bin gespannt auf die Erkenntnis.

Link zum Referat von Mike Egger und seiner Sicht zur Nachhaltigkeit

Mach es besonders

Was auch immer es ist – die Art und Weise, wie du deine Geschichte online vermittelst, kann einen gewaltigen Unterschied ausmachen.

Zum Artikel in der AZ