Wahre Tragweite des Wandels.

Die Reise zum Mond. Betrachtung über die wahre Tragweite von Transformationen und die Scherbenhaufen, den viele Unternehmen auf dieser Reise hinterlassen.

Gehören Sie zu einem Unternehmen, das seine grosse Reise angeht? Gut so, denn das ist faszinierend und wertsteigernd. Lassen Sie uns zuerst etwas ungewöhnlich dazu fragen: Was macht eigentlich das Arbeitsleben aus? Was treibt uns - Kinder des Konsums - oft opportunistisch, manchmal systematisch durch diesen Lebensabschnitt? Diese Zeit, die für viele prägender und offensichtlich vielfach auch wichtiger als die eigene Familie ist? Gedanken dazu für jene, denen Arbeit mehr als nur Beschäftigung ist. Gilt das nicht für uns alle?

Roland Voser, 6. März 2021

Prolog

Wenn ich mit meinem bejahrten Vater spreche - er wurde am Frühlingsanfang 1929 geboren, dann kommt immer irgendwann das Gespräch auf die letzten Stunden seines Arbeitslebens, wo er möglicherweise eine andere Entscheidung hätte treffen sollen, und ich entgegne ihm dann immer wieder, dass er doch auf sein Lebenswerk stolz sein darf und es weit gebracht hat, damals, in dieser schwierigen Zeit. Denn er war zweifellos ein Pionier in der Kabeltechnik. Ein wahrer Erfindergeist.

Er nickt dann jeweils erleichtert und ist froh, sich nicht mehr länger mit dieser unwiederbringlichen Begebenheit auseinandersetzen zu müssen: Das Ende des Erwerbslebens, das für ihn vor über 25 Jahren stattgefunden hat. Diese Gespräche machen mich nachdenklich. Je älter ich werde, umso mehr und ich frage mich: Was macht diese Zeit des Arbeitens eigentlich aus? Wer stellt unsere Weichen dazu?

Ich suche im Folgenden die Antwort mit Impulsen, die ich mit Führungskräften in einem fiktiven Unternehmen teilen würde. Es könnte also auch Ihre Firma sein.

Die Reise zur Sehnsucht

Liebe Freundinnen und Freunde der Sehnsucht. Ja, so nenne ich Sie - Sie, die alle Pioniere in Ihrem Leben und von dieser starken Energie getrieben sind.

Haben Sie sich schon einmal überlegt, mit wem Sie eine Firma gründen würden? Tun Sie dieses Gedankenspiel jetzt und lassen Sie Ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen vor Ihrem geistigen Auge passieren. Sind Sie fündig geworden?

Falls ja, seien Sie glücklich, denn diese Konstellation ist nicht selbstverständlich, weil wir in Unternehmen in der Regel zusammen gewürfelt werden und uns einander nicht aussuchen können, wie das normalerweise in Beziehungen der Fall ist. Vielleicht haben wir in den Vorgesprächen den Vorgesetzten recht gut kennen gelernt, aber wie beständig sind solche Strukturen heute noch?

Falls nein, überlegen Sie sich, wieso Sie gerade in diesem Umfeld tätig sein wollen und wie lange Sie das denn noch tun möchten. Wägen Sie diese Fragen auch genauso sorgfältig ab, wie Sie das bei einer grösseren Anschaffung tun, denn die Antwort hat für Ihr Leben deutlich grössere Tragweite.

Manchmal werden wir gefragt, welches Buch wir auf die einsame Insel mitnehmen würden (mein Lieblingsbuch finden Sie hier). Es geht um jene Dinge, die uns im Leben wichtig sind. Wichtiger als alles andere. Hier geht es also um Menschen, mit denen wir die alles entscheidende Reise zum Mond angehen würden. Nicht mehr, nicht weniger - mit aller Konsequenz, unter Einsatz möglicherweise des ganzen eigenen Vermögens. Mit Haut und Haaren quasi. Echtes Unternehmertum stelle ich mir so vor und habe es jedenfalls auch so erlebt. Natürlich wissen wir, dass es auch unaufgeregtere Varianten davon gibt, doch im Kern steckt dieselbe Wahrheit, darin werden Sie mit mir einig gehen.

Sie werden sehen: Irgendwann stehen Sie im selektiven Austausch mit Ihren wichtigen Weggefährten aus einem ganzen Arbeitsleben. Nicht mehr wahllos und zufällig, nicht mehr bestimmt durch die Anzahl LinkedIn-Kontakte, sondern wertschätzend, respektvoll und freundschaftlich sind sie, diese raren Begegnungen. Sie sind auch nicht bloss Teil einer Episode, vielmehr gehören sie zum unsichtbaren Geflecht über all die Engagements, die wir im Arbeitsleben eingegangen sind.

Gemeinsam ist diesen Beziehungen, dass die Beteiligten Teil von Teams waren, die für sie rückblickend auch Jahre später einzigartig und grossartig waren und so prägend für ihr Leben wurden. Es entstehen daraus jene Freundschaften fürs Leben, die man sonst nur aus der Jugendzeit kennt. Es ist ihre unglaubliche Intensität und Vitalität: Vielleicht dauerte die Beziehung nur einige Jahre beim eigentlich doch willkürlich gemeinsamen Arbeitgeber. Doch ist sie so stark, dass untereinander auch Jahrzehnte später noch stillschweigendes Einverständnis herrscht und die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit ohne Weiteres und jederzeit möglich wäre.

Es waren oft Teams, die Pionierarbeit geleistet haben und dabei als nonkonforme U-Boote im Meer des Durchschnitts oft sehr lange, schwierige, ja auch zermürbende Zeiten und miteinander wenige, aber umso wunderbarere Erfolge gefeiert haben. Sie gehörten zusammen, egal ob als Chefs oder Mitarbeitende, quasi wie «O Captain! My Captain!» in diesem denkwürdigen Club der toten Dichter (Dead Poets Society, 1989 von Peter Weir). Sie wurden zur Band, die sich inspirierten und gemeinsam feine Songs ihres Lebens schrieben, um das Set manchmal vor kleinerem, manchmal vor grösserem Publikum aufzuführen. 

Vielleicht ist der ganz grosse Erfolg ausgeblieben, die Bande fürs Leben sind in ihrer Seelenverwandtschaft aber geblieben. Zumindest in den Köpfen, solide, nicht einmal tatsächlich physisch, aber genauso bewegend und echt wie im realen Leben. In einer Tiefe und Kraft, wie wir sie uns wohl damals nie vorgestellt hätten.

Vertrauen ist dazu die Transformationswährung. Sie entsteht, wenn Sagen und Handeln übereinstimmen. Dann nimmt sie Wert an, und die Menschen bauen diese gemeinsamen Bande auf, die allen Gegenkräften widerstehen. NCR hatte in den Neunzigerjahren «Our Common Bonds» postuliert – heute weiss ich, was die Amerikaner damals damit gemeint haben: Sie wussten, dass die Sehnsucht nach gemeinsamen Höchstleistungen die persönlichste aller Offenbarungen der Beteiligten ist und dass das dazu zwingend notwendige Rückgrat ausserordentlich starkes gegenseitiges Vertrauen ist. Möglicherweise vergessen wir in unserer Kopflastigkeit zu oft, dass Vorhaben in der realen Welt nicht der Summe einzelner rationaler Faktoren entsprechen, sondern das Resultat von quasi materialisierten Träumen, Vorstellungen und Streben nach dem Besseren sind.

Wenn Mark Knopfler in Brothers in Arms mit «So many different worlds, So many different suns, And we have just one world» die Sehnsucht nach dem Überirdischen mit dem täglichen Kampf versöhnt, verstehen wir, dass wir Betroffene unseres Lebenswerks sind. Es geht um nichts weniger als unseren Lebenstraum. Den Lebenstraum von den Mitarbeitenden im Unternehmen. Die gemeinsame Leidenschaft, für diesen magischen Augenblick des gemeinsamen Erfolgs alles zu tun, was dafür nötig ist und sich dabei von nichts und niemandem hindern zu lassen. 

Nicht mehr mit Blut, Schweiss und Tränen. Mit der Leichtigkeit eines Vogels, mit der Schlauheit eines Fuchses, der Geschwindigkeit einer Gazelle, der Kraft eines Elefanten, der Zusammenarbeit der Ameisen, der Freundlichkeit eines Hundes, der Eigenständigkeit einer Katze, mit der Souveränität und Unerschrockenheit eines Wolfes – die Natur zeigt sie uns endlos, die wahren Werte, die unsere Welt ausmachen und auch für uns Menschen gelten.

Dafür lohnt es sich zu leben.

Dafür lohnt es sich, den Schritt ins Ungewisse zu wagen und den Ersten in die bessere kleine gemeinsame Welt im Unternehmen zu tun. Wir erahnen, was dadurch für grossartige Erfolge möglich werden. Passion und Purpose sind die Türen, die es aufzustossen gilt, um ehrlich die faszinierende Reise zum Mond in Angriff zu nehmen. Wir stellen erschrocken fest, welche Verantwortung Führungskräfte im Lebenstraum ihrer Mitarbeitenden übernehmen. Sie ist weit grösser, als sie denken.

Wir wissen, in der ersten Mondkapsel hatten drei Personen Platz. Es sind nicht die grossen Teams, die die Geschichte neu erfinden oder bedeutende neue Werke schreiben. Es geschieht im direkten Dialog, im wahrsten Sinne des Wortes “Zusammenarbeit”. Es ist dieses Geben und Nehmen für ein gemeinsames Ziel. Die Teilnehmenden helfen sich im Sinne des Ganzen, sie geben einander in der Tat Energie und so den für die Zielerreichung entscheidenden Antrieb.

Leute - und hier meine ich auch Chefs, die nichts einbringen, haben keinen Mehrwert. Sie sind nicht Teil des Teams. Sie sind auch nicht Teil der grossen Reise. Verstehen Sie, wie grundlegend falsch das in Unternehmen installierte Management-Verständnis eigentlich ist, wenn es bloss auf die Form reduziert wird und die gemeinsamen Inhalte fehlen? Verstehen Sie, dass Chefs die Ursache dafür sind, wenn das grosse Vorhaben nicht gelingt?

Ich sage Ihnen, die Mitarbeitenden sind für die grosse Reise längst parat. Schauen Sie jungen Leuten bloss in ihre erwartungsvollen Augen und sie werden es sehen. Die Frage ist, ob auch Sie bereit sind. Ich denke schon, denn wir alle sind neugierig auf das, was vor uns stehen mag. Haben Sie bereits genügend Mondkapseln und U-Boote bereit gestellt? Tun Sie schon oder reden Sie noch?

Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Lassen Sie es geschehen. Alles wird gut.

Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen auf Ihrer Reise in die Zukunft! Sie werden reisen, ob Sie wollen oder nicht, denn auch Ihre Zukunft kommt unaufhaltsam. Sie sind ihre Steuerfrau, ihr Steuermann. Sie sind die Pioniere ihres ganz eigenen Vorhabens. Geniessen sie es, denn es wird möglicherweise die grossartigste Reise Ihres Arbeitslebens. Diese tolle Reise, an die Sie sich später mit ihren Freunden sehnsüchtig zurückerinnern werden. Freuen Sie sich und machen Sie etwas Tolles daraus!

Ich danke Ihnen und grüsse Sie herzlich, Ihr Roland Voser

Epilog

Eigentlich eine einfache Geschichte, nicht wahr? Dennoch tun sich Unternehmen mit Passion und Purpose schwer. Die Begriffe für das Unternehmen bloss zu formulieren und zu verkünden, erzeugt schon Widerstände und das blosse Nennen reicht noch nicht einmal.

Ich habe in Unternehmen erlebt, dass je länger die gemeinsamen überzeugenden Inhalte fehlen, die Belegschaft zunehmend auf den Zuschauerrängen Platz nimmt und immer lauter den wenigen Spielenden auf dem Feld zurufen, was sie zu tun haben. Wie opportunistisch ist ihr Wohlwollen dabei, einem grossen Fussballspiel gleich: Launisch werden Helden und Verlierer von einer Minute zur anderen gemacht. Manchmal öffentlich und sichtbar, manchmal subtil und verborgen. Da frage ich Sie, wer hat hier noch Lust und Energie, Überdurchschnittliches für ein Unternehmen zu leisten, in dem leistungslose Politik und Selbstvermarktung überhand nehmen?

Zugegeben, besonders in grossen Unternehmen wird diese Reise zum Mond zu einer grossen Herausforderung. Kritisch sind auch kleinere Firmen, die gerade die magische Grösse von rund 100 Mitarbeitenden überschreiten und kraftvoll die Expansion angehen. Umso mehr gilt es gerade dort, Wachstumsvorhaben sorgfältig einzuordnen und immer wieder ernsthaft zu hinterfragen. Denn sonst verlieren die Unternehmen ihren Spirit und landen im Sumpf der vielen Selbstoptimierenden, die durchaus ein gutes Leben führen, während die Firma langsam an Fahrt verliert und bald zum Stillstand kommt. Diesen unnötigen Wertverlust gilt es zu vermeiden. Grössere Tragweite haben die Träume der Menschen: Sie überdauern Firmen, aber unabhängig davon beginnt sich beides aufzulösen.

Darüber lohnt es sich nachzudenken, bevor Führungskräfte das grosse Vorhaben starten.

Haben sie Ziele, für die es für die Mitarbeitenden die Extrameile zu gehen lohnt? Haben Sie eine Organisationsform, die kleine Teams zusammenwachsen lässt und sie fördert? Haben sie verstanden, wieso sich in der heutigen komplexen Arbeitswelt Projektorganisationen vielleicht überlebt haben, weil ihre in der Natur der Sache liegende Auflösung am Ende der Arbeit für ein Unternehmen eigentlich ökonomischer Unsinn ist? Wieso sich daher agile Organisationen an ihrer Wertschöpfung “dem Produkt” orientieren, eine end-to-end-Verantwortung übernehmen und sich damit als Team im wahrsten Sinn des Wortes unternehmerisch identifizieren? Sich also einen überzeugenden Purpose geben?

Hinterfragen sie Firmenkonstrukte mit Hunderten von Mitarbeitenden, die sich nicht persönlich kennen? Wie stehen sie zu Netzwerk-Organisationen, die individuelles Kämpfertum fördern? Belohnen ihre Incenctive-Systeme Bestehendes oder neu zu Schaffendes? Liefern bei ihnen die Wortführer auch Nutzen und Handfestes? Wollen sie alle zu Beteiligten und nicht mehr bloss zu Betroffenen machen? Vielleicht zu guter Letzt: Wollen sie diese Dynamik entfesseln und anspruchsvoll kanalisieren oder doch lieber beim Bekannten und Bewährten bleiben?

Wie gesagt, Lippenbekenntnisse reichen nicht, denn wir brennen dafür, was wir in anderen entzünden wollen.

Ich habe während der Pandemie 2020/21 mehrere Unternehmen begleitet und mich immer sehr gefreut, wenn sie erfolgreich die nächste Stufe gezündet haben. Aus diversen Branchen ist ihnen gemeinsam, dass sie eine starke Leidenschaft für das gemeinsame Vorhaben entwickelt und verinnerlicht haben und diese weiterhin mit unveränderter Stärke leben.

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smartmyway unterwegs.

(c) 2020: Blick in den Abend von der Alpe Agra, Kanton Tessin, Schweiz.
Foto: Roland Voser

 

Seit 2018 Chief Editor, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway, Autor, Coach, Mentor und Berater. Vorher als Geschäftsführer von Media Markt E-Commerce AG, Media Markt Basel AG, Microspot AG sowie in den Geschäftsleitungen von Interdiscount AG und NCR (Schweiz) AG tätig.

Experte für Digitalisierung, Digital-Business, Handel, Sales & Marketing, E-Commerce, Strategie, Geschäftsentwicklung, Transformationen, Turn Around, Innovation, Coaching, erneuerbare Energien, Medien, Professional Services, Category Management, Supply Chain Management