Prüfbild für agile Führung.

Sommerschnee - oder wieso wir in der VUCA-Welt mit der Führung stolpern. Mit dem folgenden Prüfbild wird klar, ob ihre Vorstellung von Agilität tauglich ist.

Ein Cocktail aus Matrix, Lava, neuen Inseln vor Japan und Quantenphysik. Wie muss man sich Führung im Umfeld der Digitalisierung vorstellen? Alles andere, nur nicht statisch.

Roland Voser, 15. März 2019

Die bekannte Führungssituation.

Wie runter zum See?

Schön, diese Aussicht vom Monte Boglia auf den Luganersee hinunter. Erkennen Sie im Dunsthintergrund den Damm von Melide? Nehmen wir an, dies sei die Führungssituation: Unser Team steht hier oben auf der Spitze des Bergs, dem erwähnten Monte Boglia, und entscheidet sich für den Abstieg in Richtung See, konkret zum Damm von Melide. Nehmen wir an, es hätte keine markierten Wanderwege und wir wären nicht allzu ortskundig.

Wir würden uns etappenweise vorwagen.

Die nächste Geländekammer präsentiert sich klar, in Farbe und scharf. Wir würden uns dazu entscheiden, vorsichtig den Abstieg zu diesem nächsten Hügel zu wagen und dann von dort weiter schauen. Wir würden uns auf die Kompetenz im Team verlassen, der Bergsteigerkollege hätte in dieser Frage die natürliche Autorität inne und das Team würde ihm folgen. Insgesamt ein typischer, heute üblicher Scrum-Ansatz: Planen, umsetzen, verbessern, die nächste Etappe in Angriff nehmen.

Der übergeordnete Rahmen ist geklärt.

Auch der allgemeine Kontext würde stimmen. Der Hintergrund wäre zwar etwas verschwommen, aber der Damm bleibt gut erkennbar, die Hügelzüge wohl bekannt und die Bucht von Lugano läge rechts von der vertikalen Achse zwischen Monte Brè und San Salvatore, rechts ausserhalb vom Bild.

Zweifellos würden wir früher oder später unser Ziel erreichen, nicht wahr?

Führungssituation im Umbruch der Digitalisierung.

Gleiche Ausgangslage.

Wieder stünde unser Team da oben auf dem Monte Boglia mit Blick in Richtung Damm von Melide. 

Unvorstellbar anders.

Aber jetzt kommt's.

Während der Erkundung ist ein Erdbeben zu spüren, der Boden zittert. Die Bäume in der nächsten Geländekammer bekommen im Minutenzyklus neue grüne Blätter, um sie dann, jetzt braun, sofort wieder zu verlieren. Die Temperatur steigt an und es beginnt zu schneien.

Es wachsen plötzlich Nadelhölzer. Um dies genauer zu beobachten, fehlt die Zeit, denn soeben hat sich der Luganersee entleert und der Damm von Melide ist nach links aus dem Blick hinaus verschwunden. Vorbei an der Bergflanke, die gleichzeitig wie Lava wegschmilzt. 

Unvermittelt ist der San Salvatore auf die Hälfte seiner Grösse geschrumpft und Lugano befindet sich in der nächsten Minute an der Flanke des vorher gegenüberliegenden Monte Generoso, der Monte Brè schiesst derweil in die Höhe und versperrt die gewohnte Weitsicht nach Milano.

Spannend auch das Zeitempfinden. Einige Personen der Gruppen bewegen sich superschnell und andere scheinen in langsamer Zeitlupe zu verharren. Die Stimmen erhalten neue Stimmhöhen und die Sprachen, die sie sprechen, sind unterschiedlich und unbekannt. Die Quantenphysiker hätten ihre helle Freude daran.

Wie sieht dazu Ihre eigene Vorstellung dieser disruptiven, unberechenbaren und anhaltend raschen Veränderung aus?

Führen Sie jetzt mal.

Stellen Sie sich in diesem Umfeld nun im übertragenen Sinn eine Geschäftsleitung oder einen Verwaltungsrat der Zukunft vor. Glauben wir tatsächlich, dass in solchen Gremien zu Problemstellungen aus dem operativen Tagesgeschäft zuerst von Mitarbeitern erarbeitete Varianten empfohlen, diese dann vom Führungsgremium diskutiert und entschieden und letztlich im Betrieb umgesetzt werden? Dass also im Zuge der Digitalisierung die althergebrachten Führungsorganisationen noch taugen werden?

Natürlich nicht. Keine Chance! Keine Zeit dazu! Ungenügende Kompetenz im Entscheidungsgremium! Alles immer viel zu spät! Oder auf die nächste Sitzung verschoben.

Dezentralität als Schlüssel zum Unternehmenserfolg.

Es ist absehbar, dass sich aus diesem Grund Führungsrollen fundamental ändern werden. Viele wird es in der angestammten Art und Weise künftig nicht mehr geben. Führungskräfte werden dann keine Aufgabe mehr haben, denn ihre Teams werden selbstständig die Ziele erreichen müssen und, je nach Veränderungsgeschwindigkeit des Umfeldes, dazu die nächste Etappe in eigener Regie entsprechend kurzfristig wählen.

Starke dezentrale Organisationsformen sind der Schlüssel zum geforderten Denkmodell. Diese stehen für die allseits geforderte neue Agilität. Voraussetzung dazu ist eine neue Haltung des Managements. Hochgerüstete Teams haben die Chance, in der Dezentralität den Erfolg zu erwirken. Zentrale Instanzen stellen im selben Zug primär die optimalen Rahmenbedingungen dazu sicher. Diese Kombination könnte zukünftig stechend und matchentscheidend im globalen Handel werden.

Die Herausforderungen bleiben enorm.

Nachtrag.

Noch ist es nicht so weit. Und viele Führungssituationen sind deutlich weniger spektakulär, weil das Umfeld im relevanten Zeitabschnitt stabil bleibt. Lesen Sie dazu den Artikel "Führung mit Stilbruch". Die Anzeichen für disruptive Veränderungen sollen entsprechend eingeordnet, bewertet und adäquat danach gehandelt werden. 

In Zeiten der Veränderung bleibt Nüchternheit eine guter Ratgeber.

smartmyway-magazine-sommerschnee-monte-boglia-damm-melide.jpg

smartmyway unterwegs.

(c) 2018: Monte Boglia, Luganersee und Damm von Melide, Kanton Tessin, Schweiz. Foto: Roland Voser

 

Seit 2018 Chief Editor, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway, Autor, Coach, Mentor und Berater. Vorher als Geschäftsführer von Media Markt E-Commerce AG, Media Markt Basel AG, Microspot AG sowie in den Geschäftsleitungen von Interdiscount AG und NCR (Schweiz) AG tätig.

Experte für Digitalisierung, Agile SW-Entwicklung, Digital-Business, Handel, Sales & Marketing, E-Commerce, Strategie, Geschäftsentwicklung, Transformationen, Turn Around, Innovation, Coaching, erneuerbare Energien, Medien, Professional Services, Category Management, Supply Chain Management