Leseprobe 7: “Ein Dach überm Kopf”.

Leseprobe Tagebuch 7: “Ein Dach überm Kopf”.

Hier finden Sie die Leseprobe zum siebten Tessiner Tagebuch von Kathrin Rüegg.

Maurizio Vogrig, 30. September 2020

Wir freuen uns! Mit herzlichen Tessiner Grüssen! Hier geht sie weiter, die siebte Geschichte von Kathrin.



Tessiner Tagebuch Band 7:

Ein Dach überm Kopf


Zementstaub im Haar, Zementstaub auf der Schreibmaschine, die Hände rissig vom Zement, die Kleider voller Zementspritzer - und als Sitzgelegenheit zwei übereinander gelegte Zementsäcke: Ausgangslage, um dieses Buch zu schreiben. 

Kreischen einer Kreissäge, Hammerschläge, Pfupfen und Keuchen des Motors, der die Seilbahn antreibt, Radiomusik, auf lauter bis lautester Tonstärke empfangen, Gepfeife und Gesinge, Gelächter, zwei bellende Hunde, ein Verein schnatternder Enten, Hühnergegacker, Hähnekrähen: Begleitmusik, um dieses Buch zu schreiben. 

«Schön wird's bei dir - und Platz werdet ihr haben. Ich mag's euch allen gönnen. Aber daß du es fertig bringst, alle andern arbeiten zu lassen und mittendrin friedlich an der Schreibmaschine zu sitzen, anstatt auch etwas Rechtes zu tun - ich weiß nicht …»: Kommentar meiner Freundin Emilia zu meiner Absicht, dieses Buch zu schreiben. 

Emilia hat ihren hochbeladenen Heukorb an die Gartenmauer gelehnt. Sie benutzt ihre Verschnaufpause zum täglichen Schwatz. Wie sehr würde ich ihn vermissen, hätte ich ihn nicht. Ich erkläre also Emilia: 

«Es wird ein Buch werden, das alle trösten soll, die selbst über ihren Bauproblemen schier verzweifeln. Es soll auch eines werden, das diejenigen tröstet, die zwar vom Bauen träumen - aber die aus irgendeinem Grund noch nicht damit beginnen können. 

Und dann wird es auch noch ein Buch, in dem berichtet wird, wie es bei uns weiterging und weitergeht.» 

«Warte doch mit Schreiben, bis das Haus fertig ist.» 

«Ich hoffe, es wird unter Dach sein, bevor ich meine letzte Seite geschrieben habe. Wie gerne möchte ich im Schlußkapitel über meine Hausräuke, die Hauseinweihung, berichten. Aber mit der Festlegung von Terminen habe ich im gleichen Maß mehr Schwierigkeiten, wie ich älter werde. Weißt du noch: letzten Mai rechneten wir damit, an Weihnachten fertig zu sein - und jetzt ist es schon bald wieder Frühling …» 

Letzter Mai, genauer: fünfzehnter Mai neunzehnhunderteinundachtzig.

Es begann damit, daß das Steinplattendach über dem Hausteil, in dem oben Susi, in der Mitte ich ein Schlafzimmer hatte, und in dem zuunterst die Küche war, nach einem heftigen Gewitterregen undicht wurde. Bei Susi tröpfelte es herein. 

Susi ist der wohl genügsamste Mensch, der mir je begegnet ist. 

«Macht nichts», sagte sie. «Ich rutsche mein Bett eben ein bißchen zur Seite.» 

Aber beim nächsten Gewitter nützte das Beiseiterutschen auch nichts mehr. Das Wasser floß der Holzverkleidung entlang. Alles war feucht. Bett, Kissen, Matratzen, Teppich, Kleider, Bücher. 

Es soll's mal einer versuchen, blitzartig eine Baufirma zu organisieren, die fähig ist, undichte Steindächer zu reparieren.

«Dopodomani», sagte Lindo nach meinem verzweifelten Telefonanruf. 

Und dopodomani - übermorgen - sagte er wiederum: «Dopodomani». 

Nach etlichen weiteren dopodomanis kam er, schaute sich die Bescherung an, kletterte aufs Dach, hob einige Steinplatten.

«Da gibt's nur eines, wenn's etwas Rechtes sein soll: Dach abdecken, neuen Dachstuhl machen, mit neuen Platten decken. Etliche Tragbalken sind morsch, und die Platten sind zu unregelmäßig.» 

«Und wann, lieber Lindo, könnte diese Arbeit gemacht werden?» 

Lindo kratzte sich am Kopf. «Ich weiß nicht, wieviel Arbeit die im Steinbruch haben. Am besten wär's, du organisierst irgendwen, der das Dach abdeckt, den Dachstuhl anfertigt. Und ich komme dann, um die Platten daraufzulegen.»

Irgendwen organisieren. Irgendwen, der möglichst postwendend und nicht dopodomani kommt. 

Wer's nicht glaubt, wie schwierig das ist, soll's am besten selbst versuchen. Und unterdessen regnete es weiter. Lindo hatte einige Plastikstücke über die lecke Stelle gespannt. 

Das Wasser rann nun aber irgendwo anders herein. Susi verlegte ihre Schlafstätte ins Wohnzimmer. 

Dann kam der Morgen, wo die Wände in meinem Schlafzimmer feucht waren. Das Wasser hatte noch einen weiteren Weg gefunden. 

Zuerst Susis Zimmer, dann mein untendran liegendes Zimmer. 

Unter diesem liegt die Küche. 

Dort wurde ein paar Tage später der Reis naß, und der Zucker naß - und einfach alles naß. 

Ein grauer Schimmelbelag überzog bald die Decke, die Wände. Ich begann, neben der verstärkten Suche nach irgendwem, mich auch nach einer neuen provisorischen Behausung umzusehen. 

Das Pfarrhaus, das ein Freund von uns gemietet hatte, war unsere Rettung. Dort gab es vier Schlafzimmer, die im Moment niemand brauchte. Die Küche des Pfarrhauses hatte mir schon als Schreibstube gedient, als ich für mein Fotobuch einen Ort mit viel Platz für eine Auslegeordnung von Fotografien gebraucht hatte. 

Und meine Familie war meine Rettung. Mein um achtzehn Jahre jüngerer Stiefbruder Luzi, eigentlich Maschinenkonstrukteur, hat seit ein paar Jahren zusammen mit meinem Schwager Bruno, der Schreiner und Zimmermann ist, eine Baufirma. Sie sind spezialisiert auf Umhauten, auf ganz gute Isolationen, auf neuartige Heizsysteme, die umweltfreundlich sind. Sie schafften es, ihre laufenden Arbeiten so einzuteilen, daß sie zwischendurch die Reparatur an meinem Häuschen durchführen konnten. 

Falls Lindo uns nicht im Stich ließ, war dies nun eine Angelegenheit von vier, fünf Wochen. Und damit konnte ich gleichzeitig bereits eine Etappe meines geplanten Hausumbaus abschließen. 

Wunderbar. Das ging ja wie geschmiert. 

Mein geplanter Hausumbau. Am zwölften Mai war es drei Jahre her, daß ich ein Projekt eingereicht hatte. Das bestehende Wohnzimmer sollte vergrößert werden. In einem neuen Hausteil sollten außerdem eine Küche, eine Webstube, ein Raum für das Waschen und Färben von Wolle untergebracht werden. Weben, Waschen, Färben - verschiedene Leute würden das tun, und die sollten auch im Haus schlafen können. 

Die Leidensgeschichte dieses Bauprojekts zu schildern, ist langweilig. Mein Haus liegt in der Grünzone. Da darf man wohl bestehende Häuser vergrößern. Aber nur ein bißchen. Dieses Gesetz hat gewiß für den Bau von Ferienhäusern seine Berechtigung. Aber bei mir sollen ja nicht Ferien gemacht werden. Wir wollten hier arbeiten, hier wohnen, hier den Garten und die Tiere pflegen, den sich immer weiter ausbreitenden Haselwald in Schranken halten - Landschaftsgärtner sein. 

Zweimal wurde mein Gesuch abgelehnt. Es gab Rekurse, Konferenzen. Zwei junge Männer des Baudepartementes kamen in feinen Halbschuhen mitten im Winter, um das Gelände, das Haus zu fotografieren - und versuchten Susi weiszumachen, sie sei total verrückt, an einem derart gottverlassenen Ort auch im Winter wohnen zu wollen. 

Susi erzählte es mir wutentbrannt, als ich nach Hause kam. Schade, daß die Herren ihren Besuch nicht angemeldet hatten. Einer, berichtete Susi, sei auf dem Weg ausgerutscht und hingefallen. 

Recht sei ihm geschehen! 

Schließlich erfuhr ich, daß mein Gesuch nun bewilligt worden sei. Bloß jenes Büro, das über die Ästhetik eines Projektes entscheidet, habe nun noch seinen Segen zu geben.

So standen die Dinge, als das Dach undicht wurde …

Ende der Leseprobe.

Hier geht’s zu den Büchern.

Wir haben für Sie alle Leseproben bereitgestellt (klicken Sie auf den Link):

Tessiner Tagebuch Band 1 - Kleine Welt im Tessin

Tessiner Tagebuch Band 2 - Dies ist mein Tal - dies ist mein Dorf

Tessiner Tagebuch Band 3 - Mit herzlichen Tessiner Grüssen

Tessiner Tagebuch Band 4 - Nach jedem Winter kommt ein Sommer

Tessiner Tagebuch Band 5 - Von Lämmern und Leuten von Froda

Tessiner Tagebuch Band 6 - Grosser Stall kleines Haus

Tessiner Tagebuch Band 7 - Ein Dach überm Kopf

Tessiner Tagebuch Band 8 - Von früh bis spät in Froda

Tessiner Tagebuch Band 9 - Kathrins Begegnungen

Viel Freude beim Lesen! Herzliche Grüsse!

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Kathrins kleine Welt im Tessin

Die Kleine Welt im Tessin in den Tessiner Tagebüchern herzlich erzählt und geschrieben von Kathrin Rüegg. Hier haben wir alle Informationen zu Kathrin zusammengefasst. Hier finden Sie die Homepage von Kathrin bei smartmyway.

 

Seit 2018 Chief Publisher, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway. Übersetzer und Autor. Vorher als Geschäftsführer des Seth-Verlags sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Lugano tätig.

Experte für Kommunikation, Media Management, Verlagswesen, professionelle Übersetzungen, Veröffentlichungen von digitalen Publikationen von internationalen und nationalen Autoren, Spezialist für Amazon-Publikationen, Medien-Digitalisierung.