Leseprobe 3: “Mit herzlichen Tessiner Grüssen”.

Leseprobe Tagebuch 3: “Mit herzlichen Tessiner Grüssen”.

Hier finden Sie die Leseprobe zum dritten Tessiner Tagebuch von Kathrin Rüegg.

Maurizio Vogrig, 30. September 2020

Wir freuen uns! Mit herzlichen Tessiner Grüssen! Hier geht sie weiter, die dritte Geschichte von Kathrin.



Tessiner Tagebuch Band 3:

Mit herzlichen Tessiner Grüssen


Lieber Herr Verleger,

Ihr Weihnachtstelegramm liegt vor mir, rechts von der Schreibmaschine. Es mahnt mich, endlich das Buch zu schreiben, das Sie von mir erwarten, nach dem täglich mindestens zwei, drei Leser in rührenden Briefen fragen. Aber es ist wie verteufelt und verhext. Immer wenn ich mich – mit frisch gespitzter Schreibmaschine sozusagen – hinsetze, ein erwartungsvoll leeres Blatt einspanne, dann kommt etwas dazwischen. Dann sieht der Vormittag, den ich dem neuen Manuskript widmen wollte, etwa so aus:

vorher:  6.30 Tagwache; bis 7.30: Tiermahlzeiten zubereiten für Bonahündin, die vier Katzen, vier Truthühner, dreiundvierzig Kaninchen, achtunddreißig Hühner, zwei Hähne, sechzehn Schafe, vier Lämmer, zugleich mindestens vier Tassen Kaffee trinken; bis 8.30: obige Menus den verschiedenen Herrschaften servieren. Postgang, Heimkehr, Beginn der Schreibarbeit:

Ich setze mich hin, lese zum dreihundertachtund-sechzigsten Mal Ihr Telegramm, obwohl ich es schon längst auswendig kann:

 „liebe frau ruegg bitte benuetzen sie die festtage um das 3. buch moeglichst zu foerdern stop so wie die dinge liegen muessen wir es unbedingt im august herausbringen stop herzliche wuensche und nix wie los mueller“

„Nix wie los“, heißt es da. Also, Kathrin, setz dich hin und schreibe!

Ich friere. Meine Nase ist eisig und hat ein Tröpfchen. Kalt, entsetzlich kalt ist‘s hier drin. Ofen, Ofen, läßt du mich wieder einmal im Stich?

Aufstehen, nachsehen. Jawohl. Der Ofen streikt. Das Thermometer zeigt mickrige, frierende acht Grad Celsius.

So kann keiner, und sei er noch so abgehärtet, sich hinsetzen und ein Buch schreiben.

Ich breite sorgfältig Zeitungspapier rings um den Ölofen, kratze mit einer Gabel den Ruß aus dem Brenner, hole den Staubsauger, entferne den Ruß, zerknülle die Zeitungen, lege sie mit den Ruß-Stäubchen beiseite, hänge den Staub­sauger an seinen Platz, lasse meine weiße Tintin-Katze durchs Fenster herein. Tintin sieht den Zeitungsknäuel, rast darauf zu, schiebt ihn durchs halbe Zimmer, der Ruß fällt auf den Teppich.

„Selber schuld“, sagt mein inneres, vorwitziges Stimm­chen. Und weiter: „Ruhig bleiben, nicht fluchen.“ Dabei merke ich, daß das innere Stimmchen auf den Stockzähnen lacht. Ja, haben innere Stimmchen überhaupt Stockzähne?

Ich hole wiederum den Staubsauger, wische so gut es geht die Rußflecken vom Teppich weg, bürste die nun schwarzweiß gefleckte Katze, entzünde den Ofen von neuem.

Neuer Versuch, das Manuskript zu beginnen.

Lieber Herr Verleger, es ist fürchterlich, ein Buch schrei­ben zu müssen bei sechs Grad Raumtemperatur. Zudem ist das diesmalige Tröpfchen, das von meiner Nase fällt, schwarz. Schwarz wie Ruß.

Verzeihen Sie mir deshalb, wenn ich, bis der Ofen aufge­heizt hat, nochmals meinen Buchstart hinausschiebe … 

Eine Viertelstunde später. Elf Grad. Ich setze mich wieder hin. Draußen bellt Bona. Die Truthühner geben ihr aufge­regtes Gegluckse von sich. Da kommt jemand. Meine Nach­barin Anni. Sie holt bei mir Schwarzmehl, Gerstenschrot, Kleie und Trockenhefe. Damit bäckt sie Brot nach meinem Rezept. Ich kaufe diese Zutaten en gros. Gerste und Kleie brauche ich sowieso für die Truten und Kaninchen.

Lautes Tuten macht mich darauf aufmerksam, daß die landwirtschaftliche Genossenschaft das bestellte Tierfutter bringt. Sieben Säcke zu fünfundzwanzig, einen zu fünfzig Kilogramm laden sie bei der Brücke für mich ab. Soeben fängt es leicht zu schneien an.

Ade Manuskript, nun muß ich Futtertransporte machen. Ich eile den Berg hinunter, natürlich gefolgt von Bona, lege zwei Säcke ins Bähnchen, keuche zurück, drücke auf den Schaltknopf „aufwärts“. Das Bähnchen fährt ruckend und zuckend einen Meter weit, bleibt stehen. Wenn die Tempera­tur auch nur die kleinste Spur unter null Grad sinkt, dann will es nicht mehr.

„Der Kondensator ist zu kalt“, hat mein Bruder Luzi festgestellt, als ich ihm mein diesbezügliches Leid klagte. Und Luzi muß es wissen, er hat das Bähnchen schließlich kon­struiert.

Wenn der Kondensator zu kalt hat, dann muß man ihn eben wärmen. Aber wie?

Mit einer Bettflasche, einer gar nicht technischen, gemütlichen, grünen Gummibettflasche! Mit siedendem Wasser gefüllt, dann einige Minuten auf den Schaltkasten gelegt, Startknopf gedrückt, Bähnchen fährt.

Also fülle ich auch jetzt Bähnleins Fläschchen. Ein bißchen Geduld. Druck auf den Knopf. Erste Ladung kommt surrend angefahren.

Wiederum Lauf zur Brücke, weitere zwei Säcke laden, zurück zum Haus. Bähnchen friert. Die Schneeflocken fallen dichter. Neue Flasche. Telefon. Meine Nachbarin Emilia macht mich darauf aufmerksam, daß meine Futtersäcke bald vom Schnee zugedeckt sind und daß es besser sei, sie sofort zu holen. Ich erkläre ihr, daß meine „Teleferica“ nur zu fahren beliebt, wenn ich sie zuerst mit einer Bettflasche wärme und daß ich soeben im Begriff bin, dies zu tun.

Im Geiste sehe ich, wie Emilia kopfschüttelnd den Telefonhörer aufhängt und wieder einmal feststellt, daß die Kathrin mit ihren modernen Maschinen ein kurioser Mensch ist.

Dann sind schließlich alle Säcke oben, teils im Stall, teils im Keller, teils in der Küche verstaut. Mein knurrender Magen erinnert mich energisch daran, daß es Zeit fürs Mittagessen wäre.

Das Thermometer im Wohnzimmer zeigt nun wohlige neunzehn Grad. Das Blatt in der Schreibmaschine ist nicht mehr weiß. Tintin hat zwei schwarze Pfotenabdrücke darauf angebracht. So fange ich mein Manuskript denn damit an. Ich hoffe, lieber Herr Verleger, Sie nehmen mir diesen seltsamen Anfang eines langen, langen Briefes an meine Leser nicht übel … 

Ende der Leseprobe.

Hier geht’s zu den Büchern.

Wir haben für Sie alle Leseproben bereitgestellt (klicken Sie auf den Link):

Tessiner Tagebuch Band 1 - Kleine Welt im Tessin

Tessiner Tagebuch Band 2 - Dies ist mein Tal - dies ist mein Dorf

Tessiner Tagebuch Band 3 - Mit herzlichen Tessiner Grüssen

Tessiner Tagebuch Band 4 - Nach jedem Winter kommt ein Sommer

Tessiner Tagebuch Band 5 - Von Lämmern und Leuten von Froda

Tessiner Tagebuch Band 6 - Grosser Stall kleines Haus

Tessiner Tagebuch Band 7 - Ein Dach überm Kopf

Tessiner Tagebuch Band 8 - Von früh bis spät in Froda

Tessiner Tagebuch Band 9 - Kathrins Begegnungen

Viel Freude beim Lesen! Herzliche Grüsse!

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Kathrins kleine Welt im Tessin.

Die Kleine Welt im Tessin in den Tessiner Tagebüchern herzlich erzählt und geschrieben von Kathrin Rüegg. Hier haben wir alle Informationen zu Kathrin zusammengefasst. Hier finden Sie die Homepage von Kathrin bei smartmyway.

 

Seit 2018 Chief Publisher, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway. Übersetzer und Autor. Vorher als Geschäftsführer des Seth-Verlags sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Lugano tätig.

Experte für Kommunikation, Media Management, Verlagswesen, professionelle Übersetzungen, Veröffentlichungen von digitalen Publikationen von internationalen und nationalen Autoren, Spezialist für Amazon-Publikationen, Medien-Digitalisierung.